Implantat-Akupunktur bei Morbus Parkinson

Eine wissenschaftliche Anwendungsbeobachtung zur Wirksamkeit und Verträglichkeit

Wlasak, Rolf; Fachpraxis für Neurostimulation; Düsseldorf

Einleitung:

Die Implantat-Ohr-Akupunktur wird seit wenigen Jahren bei neurologischen Erkrankungen in Deutschland eingesetzt. Hierbei wird immer wieder ueber eine Verbesserung der Symptome und Lebensqualitaet bei Patienten mit Morbus Parkinson berichtet. Systematische Anwendungsbeobachtungen aus der Praxis fehlen jedoch. Methoden: In einer prospektiven und konsekutiven Verlaufsbeobachtung untersuchten wir 79 Patienten ueber einen Zeitraum von 6 Monaten nach der Implantation per Interview. Die Endpunkte Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen wurden hierbei untersucht.

Ergebnisse:
In allen vier Endpunkten berichteten mehr als 60 % der Patienten ueber eine Besserung ihrer Symptome.

Diskussion: Die Implantat-Ohr-Akupunktur kann das Behandlungsspektrum bei Morbus Parkinson erweitern. Weitere kontrollierte Studien muessen folgen.

Seit Mitte der 90er Jahre wird Akupunktur in Deutschland zunehmend haeufiger bei chronischen Schmerzerkrankungen eingesetzt (1). Die Akzeptanz dieser Methode wird zudem durch ein sehr geringes Nebenwirkungsprofil beguenstigt (2). Die Modellversuche der gesetzlichen Krankenkassen haben den Wirksamkeitsnachweis bei chronischen Knie- und Rueckenschmerzen mittlerweile eindeutig belegt (3) und finanzieren die Akupunktur seit 2007 in diesen beiden Indikationen.
Zudem liegen positive Studienergebnisse fuer chronische Kopfschmerzen und Migraene (4), Tennisellbogen (5) und Allergien (6) vor. Bei neurologischen Erkrankungen und insbesondere bei Morbus Parkinson ist seit wenigen Jahren die Methode der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) in den Vordergrund getreten (Abb.1).

Hierbei werden kleine Nadeln aus medizinischem Rein-Titan an Ohr-Akupunktur-Punkte gesetzt (Abb.2). In China ist diese Methode schon seit ueber 1500 Jahren bekannt. Chinesische Aerzte setzten bei chronischen Schmerzpatienten sowie bei schwer heilbaren neurologischen Erkrankungen resorbierbare Kollagenfasern aus Darmsaiten an vordefinierte Ohr-Akupunkturpunkte. In der westlichen Welt hat sich bei Morbus Parkinson eine differenzierte medikamentoese Therapie (Dopaminersatz) sowie Physiotherapie etabliert. Um den Stellenwert der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) bei Morbus Parkinson in dem bewaehrten westlichen Behandlungskonzept zu untersuchen, setzten wir eine prospektive Verlaufsbeobachtung ein.

Methode

82 Patienten mit Morbus Parkinson wurden konsekutiv von Januar 2005 bis Dezember 2006 in unserer Parkinson-Sprechstunde fuer die nachfolgende Studie erfasst (Tab.1). Alle Patienten unterschrieben vor der Behandlung eine Einverstaendniserklaerung ueber den geplanten Eingriff sowie der telefonischen Nachsorge.

Waehrend der Behandlung wurden kleine Nadeln aus medizinischem Rein-Titan (IMPLAX" / Firma Lametec) an franzoesische und chinesische Ohr-Akupunkturpunkte gesetzt und implantiert (Abb.3). Alle Punkte wurden mit dem RAC (Reflexe auriculocardiaque) sowie der Very-Point-Technik (nach Gleditsch) ermittelt. Es wurden nur Titan-Nadeln gesetzt, wenn uebereinstimmend nach RAC und Very-Point-Technik aktive Punkte gefunden wurden.

Alle 82 Patienten wurden vom selben Untersucher behandelt und ausgewertet. Vom Stichtag der Implantation wurden alle Patienten im Abstand von 4, 8 und 16 und 24 Wochen nach der Implantation telefonisch interviewt, ggf. auch persoenlich nachuntersucht. Hierzu wurde ein differenzierter Befundbogen prospektiv angelegt.

Tab. 1 Patientenkollektiv

 

Erfasste Studienteilnehmer 82 Patienten
Geschlechtsverteilung 44 Maenner (54%); 38 Frauen (46%)
Durchschnittsalter (Range) 62 Jahre (42 - 79 Jahre)
Medikamenten-Einnahme vor Studienbeginn 82 Patienten (100%)
Zeitraum der Parkinson-Diagnose
bis Studien-Beginn (Durchschnitt / Range)
5,2 Jahre (9 Monate - 242 Monate)
Drop-Out 3 Patienten
Relevante Begleiterkrankungen 71 Patienten

 

 

Tab. 2 Hauptgruende fuer die Behandlung

 

Hauptgrund fuer Implantation (2 pro Patient)  
Tremor (69 % einseitig) 64 Patienten (81 %)
Rigor 42 Patienten (53%)
Bewegungsverlangsamung 31 Patienten (39%)
Schmerzen durch Parkinson 21 Patienten (27%)
Endpunkte gesamt 158

 

 

Tab. 3 Bewertung der Hauptendpunkte

 

Eindeutige Besserung (1)
Leichte Besserung (2)
Keine Besserung (3)
Eher schlechter (4)

 

 

Tab. 4 Gesamtbewertung der Methode (Implantat-Ohr-Akupunktur)

 

Sehr gut (1)
Gut (2)
Befriedigend (3)
Genuegend (4)
Schlecht (5)
Nicht beurteilbar (6)

 

Nach Pruefung der Ein- und Ausschlusskriterien konnten 79 Patienten vollstaendig ausgewertet werden. Fuer diese Patienten wurden jeweils 2 Endpunkte (158 Hauptgruende fuer Implantation) vor der Behandlung definiert (Tab. 2) Zusaetzlich erfassten wir, ob durch die Behandlung mit den eingesetzten Implantaten eine Reduzierung der bisher eingenommen Parkinson-Medikation erreicht werden konnte. Die Auswertung erfolgte mittels eines standardisierten Beantwortungsbogens. Dieser wurde per Telefoninterview im Abstand von 4, 8, 16 und 24 Wochen nach der Implantation abgefragt. Alle Endpunkte wurden von den Patienten wie folgt gewertet (Tab. 3). Zusaetzlich wurden alle Studienteilnehmer 6 Monaten (24 Wochen) nach der Implantation zu einer Gesamtbeurteilung der Wirksamkeit dieser Methode (I-O-A) befragt (Tab. 4).

Alle Patienten wurden gebeten die Parkinson-Medikation moeglichst konstant zu halten, damit das Ergebniss nicht durch eine Umstellung der Medikation beeintraechtigt wurde. Ebenfalls wurden zusaetzliche komplementaere Anwendungen, welche ggf. eigenmaechtig durch die Patienten initiiert wurden, durch den Auswertungsbogen erfasst.

Ergebnisse

79 Patienten erhielten im Schnitt 11,2 Nadeln (Range 3 - 37). Hierbei wurden die folgenden Ohr-Akupunkturpunkte ausgewaehlt (Tab. 5).

Tab. 5 Ermittelte Ohr-Akupunktur-Punkte (Anzahl der gesetzten Implantate)

Poster (60) Ω 1 Punkt (26)
Hirnstamm (56) Shen men (24)
Antidepressiver Punkt PT 3 (54) Nervus ischiadicus (24)
Ω Hauptpunkt (51) Niere (22)
Antiaggression PT 1 (50) Vegetativum 1 (20)
Angst PT 2 (48) Muskelentspannung (19)
Sonne (47) Nervus facialis (15)
Stirn (47)(56) Interferon (14)
Innenohr (44) Thymus (13)
Hypophyse (41) ACTH (11)
Graue Substanz (38) Eifersucht (10)
Point de Jerome (36) Leber (7)
Atlantooccipitalgelenk (34) Epiphyse (6)
Valium (32) Null-Punkt (4)
Frustration (30) NNR (2)

 

 

 

4 Wochen nach der Implantation berichteten 51% der Patienten von einer signifikanten Verbesserung zum Ausgangsbefund. 8 Wochen nach der Implantation war diese Zahl auf 62 % der Patienten angestiegen. In der Endpunktauswertung ergab sich 24 Wochen nach der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) das folgende Ergebniss (Tab. 6)

 

 

Tab. 6 Ergebnisse 24 Wochen nach der Implantation

 

Tremor (Schuetteln) 64 Patienten 29% eindeutige Besserung
49% leichte Besserung
17% keine Besserung
5 % eher schlechter
Rigor (Muskelsteifigkeit) 42 Patienten 25% eindeutige Besserung
47% leichte Besserung
22% keine Besserung
6 % eher schlechter
Bewegungsverlangsamung 31 Patienten 19% eindeutige Besserung
48% leichte Besserung
26% keine Besserung
7 % eher schlechter
Schmerzen durch Parkinson 21 Patienten 48% eindeutige Besserung
23% leichte Besserung
19% Keine Besserung
10 % eher schlechter

 

Bei der Untersuchung der Nebenendpunkte (Nebengrund fuer Implantation) konnte eine Reduzierung der Medikamente in 21% aller Patienten erreicht werden. Bei 7 von 11 Patienten war eine Obstipation (Verstopfung) ruecklaeufig. Alle anderen Nebenendpunkte waren nicht signifikant bzw. die Fallzahl zu gering. Die abschlieBende Gesamtbeurteilung der Methode wurde von allen 79 Patienten wie folgt bewertet (Tab.7).

 

 

Tab. 7 Gesamtbewertung der Methode (Implantat-Ohr-Akupunktur)

Sehr gut 15 Patienten (19 %)
Gut 21 Patienten (27 %)
Befriedigend 27 Patienten (34 %)
Genuegend 14 Patienten (17 %)
Schlecht 2 Patienten (3 %)
Nicht beurteilbar 3 Patienten (Drop-Out)

 

Diskussion

 

Akupunktur spaltet Aerzte als auch Patienten. Noch bis in die 90er Jahre wurde die chinesische Akupunktur als AuBenseitermethode betrachtet. Heute ist sie in der Schmerztherapie bereits als fester Bestandteil innerhalb der Schulmedizin integriert worden. Auch in anderen Indikationen, wie z.B. bei Allergien und funktionellen Beschwerden, wird Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) immer haeufiger adjuvant zu den etablierten und konventionellen Therapien eingesetzt.

 

Die Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) ist demgegenueber noch weitgehend unbekannt. In Deutschland wird die Methode bisher nur vereinzelt von spezialisierten Aerzten und anderen Therapeuten angeboten. Fuer die betroffenen Patienten ist daher die Qualifikation des Arztes sowie die individuelle Beratung ueber die moegliche Prognose von immenser Bedeutung. Die Ergebnisse dieser Auswertung geben Anlass diese Methode noch intensiver zu untersuchen. Alle vier Endpunkte (Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen) wurden von den Patienten nach ueber 6 Monaten als Verbesserung zum Ausgangsbefund bewertet. In allen Subanalysen zeigte sich eine Verbesserung der jeweiligen Befunde von ueber 60%. Dies ist insofern beachtlich, da Morbus Parkinson eine langsam fortschreitende degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) darstellt.

Sicherlich waere es in Zukunft wuenschenswert die Daten objektiver zu praesentieren. Daher sollte neben einer Patientenbefragung zukuenftig regelmaeBig der Parkinson's Disease Questionnaire (PDQ 39) durchgefuehrt werden. Dieser Test fragt nach diversen Alltagstaetigkeiten, die fuer die betroffenen Patienten nur noch mit Muehe oder deutlich verlangsamt durchgefuehrt werden koennen. Ebenso wird nach Schmerzen, Stimmungsschwankungen und kognitiven Faehigkeiten gefragt.

Noch praeziser koennte die Methode der I-O-A mit dem Unified Parkinson Disease Rating Scale (UPDRS) beurteilt werden.

Insbesondere der motorische Teil des Tests (UPDRS) koennte indirekt darueber Aufschluss geben, ob durch die eingesetzten Implantate dem zentralen Nervensystem (ZNS) wieder vermehrt Dopamin und dopaminaehnliche Botenstoffe zur Verfuegung gestellt werden koennen. Somit koennte der Einsatz der Implantate gerade in der Fruehphase der Erkrankung die Gabe von Dopamin weiter herauszoegern. Placebokontrollierte klinische Studien muessten hierzu durchgefuehrt werden.

Jede Form der Akupunktur hat einen indirekten Einfluss auf das vegetative Nervensystem sowie auf die Regulation verschiedener hormoneller Systeme. Eine Freisetzung von Endorphinen nach Akupunktur konnte in verschiedenen Tiermodellen und beim Menschen bestaetigt werden (7). Besonders interessant ist die Beobachtung, dass verschiedene Arten der Akupunktur zu einer unterschiedlichen Ausschuettung von Endorphinen fuehren koennen. Beschrieben sind Freisetzungen von B-Endorphin, Met-Enkephalin, Dynorphin und Endomorphin sowie auch von Serotonin, Noradrenalin, Substanz P, Calcitonin Generelated Peptide und GABA. Ob auch Dopamin und dopaminaehnliche Substanzen durch eine Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) freigesetzt werden koennen, ist bis heute nicht untersucht worden.

Hierzu koennte eine relativ neue Untersuchung, die DATSCAN-Methode einen wertvollen Beitrag liefern. Hierbei handelt es sich um eine nuklearmedizinische Untersuchung bei der ein Radiopharmakon (I-123-FP-CIT) injiziert wird, welches sich mit Molekuelen verbindet, die Dopamin innerhalb des ZNS transportieren. Diese Methode visualisiert daher indirekt den Dopaminumsatz im zentralen Nervensystem und kann daher feststellen, ob sich Unterschiede zum Ausgangsbefund evaluieren lassen. Auch das AusmaB der Erkrankung kann hiermit dokumentiert werden und ggf. koennen auch exaktere prognostische Angaben ueber den Verlauf der Erkrankung getroffen werden.

In diesem Zusammenhang zeigte sich in den letzten Jahren, dass auch zunehmend Patienten mit Restless-Legs-Syndrom von der I-O-A profitierten. Aufgrund der Wirksamkeit dopaminerger Substanzen in dieser Indikation ist von einer Ursache im dopaminergen System auszugehen, wobei diesbezueglich durchgefuehrte bildmorphologische Studien widerspruechliche Ergebnisse ueber die postsynaptische dopaminerge Funktion in den Basalganglien erbrachten. Dennoch zeigen die ersten Erfahrungsberichte auch bei diesen Patienten, dass insbesondere der Bewegungsdrang der Beine sowie die Tagesmuedigkeit guenstig beeinflusst werden konnten.

Fuer die korrekte Durchfuehrung und Vergleichbarkeit muessen bestimmte Richtlinien bei der Anwendung der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) beachtet werden. Hierzu zaehlen:

  • Hoechst- und Mindestanzahl an implantierten Nadeln pro Sitzung fuer die jeweilige Indikation
  • Mindestabstand der implantierten Nadel auf der innervierten Ohrmuschel
  • die konsequente Einhaltung der chinesischen und franzoesischen Nomenklatur

Im Sinne einer ganzheitlichen Beratung und Aufklaerung der Patienten sollten auch zusaetzliche MaBnahmen erwaehnt werden. Hierbei sind neben der individuellen pharmakologischen Einstellung auch die folgenden Punkte zu beachten:

  • Entgiftung des Koerpers von Schadstoffen (z.B. Schwermetallen)
  • Verbesserung der Gehirndurchblutung (z.B. durch Ginko biloba)
  • Substitution mit Vitalstoffen (Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe)
  • Entsaeuerung des Koerpers

Sicherlich duerfen diese MaBnahmen nicht ueberbewertet werden, weil sie nicht kausal fuer die Entstehungsgeschichte des Morbus Parkinson verantwortlich zu machen sind. Evtl. koennen sie aber die Folgeerscheinungen durch die Grunderkrankung lindern. Die intensive Zuwendung zu den Patienten waehrend dieser Verlaufskontrolle ergab zudem die Beobachtung, dass sehr haeufig seelische Verletzungen und Traumata fuer die Ausloesung eines Morbus Parkinson verantwortlich sein koennen. Auffallend haeufig berichteten die Patienten von stark belastenden und negativen Lebensereignissen in ihrer Anamnese.

Fazit

Die durchweg positiven Ergebnisse dieser Verlaufsbeobachtung geben Anlass die Methode der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) weiter zu untersuchen. Alle vier Zielkriterien - Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen wurden von den Patienten ueberwiegend als Verbesserung zum Ausgangsbefund vor der Implantation bewertet. Weitere kontrollierte Studien muessen klaeren, ob die erhobenen Befunde auch durch den UPDRS und den PDQ 39 erhaertet werden koennen.

 

Literatur:

 

 

  1. Melchart D, Streg A, Hoppe A, Juergens S, Weidenhammer W, Linde K: Akupunktur bei chronischen Schmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2006: 103 (25):A 187-195
  1. Endres HG, Molsberger A, Lungenhausen M, Trampisch HJ: An internal standard for verifying the accuracy of serious adverse event reporting: the example of an acupuncture study of 190.924 patients. Eur J Med Res 2004: 9:545-551
  2. Endres HG, Victor N, Haake M, Witte S, Streitberger K, Zenz, M: Akupunktur bei chronischen Knie- und Rueckenschmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2007: 104 (3):A 123-130
  3. Endres HG, Diener HC, Maier C, Boewing G, Trampisch HJ, Zenz M: Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2007: 104 (3):A 114-122
  4. Trinh KV, Phillips SD, Ho E, Damsma K: Acupuncture for the alleviation of lateral epicondyle pain: a systematic review. Rheumatology 2004: 9:1085-1090
  5. Studie der Techniker Krankenkasse. Berlin Charite
  1. Mayer DJ, Price DD, Rafii A: Antagonism of acupuncture analgesia in man by narcotic antagonist naloxone. Brain Res 1977: 121: 368-372

Ergebnisse

79 Patienten erhielten im Schnitt 11,2 Nadeln (Range 3 - 37). Hierbei wurden die folgenden Ohr-Akupunkturpunkte ausgewaehlt (Tab. 5).

Tab. 5 Ermittelte Ohr-Akupunktur-Punkte (Anzahl der gesetzten Implantate)

Poster (60) Ω 1 Punkt (26)
Hirnstamm (56) Shen men (24)
Antidepressiver Punkt PT 3 (54) Nervus ischiadicus (24)
Ω Hauptpunkt (51) Niere (22)
Antiaggression PT 1 (50) Vegetativum 1 (20)
Angst PT 2 (48) Muskelentspannung (19)
Sonne (47) Nervus facialis (15)
Stirn (47)(56) Interferon (14)
Innenohr (44) Thymus (13)
Hypophyse (41) ACTH (11)
Graue Substanz (38) Eifersucht (10)
Point de Jerome (36) Leber (7)
Atlantooccipitalgelenk (34) Epiphyse (6)
Valium (32) Null-Punkt (4)
Frustration (30) NNR (2)

 

 

 

4 Wochen nach der Implantation berichteten 51% der Patienten von einer signifikanten Verbesserung zum Ausgangsbefund. 8 Wochen nach der Implantation war diese Zahl auf 62 % der Patienten angestiegen. In der Endpunktauswertung ergab sich 24 Wochen nach der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) das folgende Ergebniss (Tab. 6)

 

 

Tab. 6 Ergebnisse 24 Wochen nach der Implantation

 

Tremor (Schuetteln) 64 Patienten 29% eindeutige Besserung
49% leichte Besserung
17% keine Besserung
5 % eher schlechter
Rigor (Muskelsteifigkeit) 42 Patienten 25% eindeutige Besserung
47% leichte Besserung
22% keine Besserung
6 % eher schlechter
Bewegungsverlangsamung 31 Patienten 19% eindeutige Besserung
48% leichte Besserung
26% keine Besserung
7 % eher schlechter
Schmerzen durch Parkinson 21 Patienten 48% eindeutige Besserung
23% leichte Besserung
19% Keine Besserung
10 % eher schlechter

 

Bei der Untersuchung der Nebenendpunkte (Nebengrund fuer Implantation) konnte eine Reduzierung der Medikamente in 21% aller Patienten erreicht werden. Bei 7 von 11 Patienten war eine Obstipation (Verstopfung) ruecklaeufig. Alle anderen Nebenendpunkte waren nicht signifikant bzw. die Fallzahl zu gering. Die abschlieBende Gesamtbeurteilung der Methode wurde von allen 79 Patienten wie folgt bewertet (Tab.7).

 

 

Tab. 7 Gesamtbewertung der Methode (Implantat-Ohr-Akupunktur)

Sehr gut 15 Patienten (19 %)
Gut 21 Patienten (27 %)
Befriedigend 27 Patienten (34 %)
Genuegend 14 Patienten (17 %)
Schlecht 2 Patienten (3 %)
Nicht beurteilbar 3 Patienten (Drop-Out)

 

Diskussion

Akupunktur spaltet Aerzte als auch Patienten. Noch bis in die 90er Jahre wurde die chinesische Akupunktur als AuBenseitermethode betrachtet. Heute ist sie in der Schmerztherapie bereits als fester Bestandteil innerhalb der Schulmedizin integriert worden. Auch in anderen Indikationen, wie z.B. bei Allergien und funktionellen Beschwerden, wird Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) immer haeufiger adjuvant zu den etablierten und konventionellen Therapien eingesetzt.

 

Die Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) ist demgegenueber noch weitgehend unbekannt. In Deutschland wird die Methode bisher nur vereinzelt von spezialisierten Aerzten und anderen Therapeuten angeboten. Fuer die betroffenen Patienten ist daher die Qualifikation des Arztes sowie die individuelle Beratung ueber die moegliche Prognose von immenser Bedeutung. Die Ergebnisse dieser Auswertung geben Anlass diese Methode noch intensiver zu untersuchen. Alle vier Endpunkte (Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen) wurden von den Patienten nach ueber 6 Monaten als Verbesserung zum Ausgangsbefund bewertet. In allen Subanalysen zeigte sich eine Verbesserung der jeweiligen Befunde von ueber 60%. Dies ist insofern beachtlich, da Morbus Parkinson eine langsam fortschreitende degenerative Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS) darstellt.

Sicherlich waere es in Zukunft wuenschenswert die Daten objektiver zu praesentieren. Daher sollte neben einer Patientenbefragung zukuenftig regelmaeBig der Parkinson's Disease Questionnaire (PDQ 39) durchgefuehrt werden. Dieser Test fragt nach diversen Alltagstaetigkeiten, die fuer die betroffenen Patienten nur noch mit Muehe oder deutlich verlangsamt durchgefuehrt werden koennen. Ebenso wird nach Schmerzen, Stimmungsschwankungen und kognitiven Faehigkeiten gefragt.

Noch praeziser koennte die Methode der I-O-A mit dem Unified Parkinson Disease Rating Scale (UPDRS) beurteilt werden.

Insbesondere der motorische Teil des Tests (UPDRS) koennte indirekt darueber Aufschluss geben, ob durch die eingesetzten Implantate dem zentralen Nervensystem (ZNS) wieder vermehrt Dopamin und dopaminaehnliche Botenstoffe zur Verfuegung gestellt werden koennen. Somit koennte der Einsatz der Implantate gerade in der Fruehphase der Erkrankung die Gabe von Dopamin weiter herauszoegern. Placebokontrollierte klinische Studien muessten hierzu durchgefuehrt werden.

Jede Form der Akupunktur hat einen indirekten Einfluss auf das vegetative Nervensystem sowie auf die Regulation verschiedener hormoneller Systeme. Eine Freisetzung von Endorphinen nach Akupunktur konnte in verschiedenen Tiermodellen und beim Menschen bestaetigt werden (7). Besonders interessant ist die Beobachtung, dass verschiedene Arten der Akupunktur zu einer unterschiedlichen Ausschuettung von Endorphinen fuehren koennen. Beschrieben sind Freisetzungen von B-Endorphin, Met-Enkephalin, Dynorphin und Endomorphin sowie auch von Serotonin, Noradrenalin, Substanz P, Calcitonin Generelated Peptide und GABA. Ob auch Dopamin und dopaminaehnliche Substanzen durch eine Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) freigesetzt werden koennen, ist bis heute nicht untersucht worden.

Hierzu koennte eine relativ neue Untersuchung, die DATSCAN-Methode einen wertvollen Beitrag liefern. Hierbei handelt es sich um eine nuklearmedizinische Untersuchung bei der ein Radiopharmakon (I-123-FP-CIT) injiziert wird, welches sich mit Molekuelen verbindet, die Dopamin innerhalb des ZNS transportieren. Diese Methode visualisiert daher indirekt den Dopaminumsatz im zentralen Nervensystem und kann daher feststellen, ob sich Unterschiede zum Ausgangsbefund evaluieren lassen. Auch das AusmaB der Erkrankung kann hiermit dokumentiert werden und ggf. koennen auch exaktere prognostische Angaben ueber den Verlauf der Erkrankung getroffen werden.

In diesem Zusammenhang zeigte sich in den letzten Jahren, dass auch zunehmend Patienten mit Restless-Legs-Syndrom von der I-O-A profitierten. Aufgrund der Wirksamkeit dopaminerger Substanzen in dieser Indikation ist von einer Ursache im dopaminergen System auszugehen, wobei diesbezueglich durchgefuehrte bildmorphologische Studien widerspruechliche Ergebnisse ueber die postsynaptische dopaminerge Funktion in den Basalganglien erbrachten. Dennoch zeigen die ersten Erfahrungsberichte auch bei diesen Patienten, dass insbesondere der Bewegungsdrang der Beine sowie die Tagesmuedigkeit guenstig beeinflusst werden konnten.

Fuer die korrekte Durchfuehrung und Vergleichbarkeit muessen bestimmte Richtlinien bei der Anwendung der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) beachtet werden. Hierzu zaehlen:

  • Hoechst- und Mindestanzahl an implantierten Nadeln pro Sitzung fuer die jeweilige Indikation
  • Mindestabstand der implantierten Nadel auf der innervierten Ohrmuschel
  • die konsequente Einhaltung der chinesischen und franzoesischen Nomenklatur

Im Sinne einer ganzheitlichen Beratung und Aufklaerung der Patienten sollten auch zusaetzliche MaBnahmen erwaehnt werden. Hierbei sind neben der individuellen pharmakologischen Einstellung auch die folgenden Punkte zu beachten:

  • Entgiftung des Koerpers von Schadstoffen (z.B. Schwermetallen)
  • Verbesserung der Gehirndurchblutung (z.B. durch Ginko biloba)
  • Substitution mit Vitalstoffen (Vitamine, Spurenelemente, Mineralstoffe)
  • Entsaeuerung des Koerpers

Sicherlich duerfen diese MaBnahmen nicht ueberbewertet werden, weil sie nicht kausal fuer die Entstehungsgeschichte des Morbus Parkinson verantwortlich zu machen sind. Evtl. koennen sie aber die Folgeerscheinungen durch die Grunderkrankung lindern. Die intensive Zuwendung zu den Patienten waehrend dieser Verlaufskontrolle ergab zudem die Beobachtung, dass sehr haeufig seelische Verletzungen und Traumata fuer die Ausloesung eines Morbus Parkinson verantwortlich sein koennen. Auffallend haeufig berichteten die Patienten von stark belastenden und negativen Lebensereignissen in ihrer Anamnese.

Fazit

Die durchweg positiven Ergebnisse dieser Verlaufsbeobachtung geben Anlass die Methode der Implantat-Ohr-Akupunktur (I-O-A) weiter zu untersuchen. Alle vier Zielkriterien - Tremor, Rigor, Bewegungsverlangsamung und Schmerzen wurden von den Patienten ueberwiegend als Verbesserung zum Ausgangsbefund vor der Implantation bewertet. Weitere kontrollierte Studien muessen klaeren, ob die erhobenen Befunde auch durch den UPDRS und den PDQ 39 erhaertet werden koennen.

Literatur:

  1. Melchart D, Streg A, Hoppe A, Juergens S, Weidenhammer W, Linde K: Akupunktur bei chronischen Schmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2006: 103 (25):A 187-195
  2. Endres HG, Molsberger A, Lungenhausen M, Trampisch HJ: An internal standard for verifying the accuracy of serious adverse event reporting: the example of an acupuncture study of 190.924 patients. Eur J Med Res 2004: 9:545-551
  3. Endres HG, Victor N, Haake M, Witte S, Streitberger K, Zenz, M: Akupunktur bei chronischen Knie- und Rueckenschmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2007: 104 (3):A 123-130
  4. Endres HG, Diener HC, Maier C, Boewing G, Trampisch HJ, Zenz M: Akupunktur bei chronischen Kopfschmerzen. Deutsches Aerzteblatt 2007: 104 (3):A 114-122
  5. Trinh KV, Phillips SD, Ho E, Damsma K: Acupuncture for the alleviation of lateral epicondyle pain: a systematic review. Rheumatology 2004: 9:1085-1090
  6. Studie der Techniker Krankenkasse. Berlin Charite
  7. Mayer DJ, Price DD, Rafii A: Antagonism of acupuncture analgesia in man by narcotic antagonist naloxone. Brain Res 1977: 121: 368-372